Ich nehme Abschied

Händevon jemandem, der mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Dem ich auch einen Teil meiner Gene und meine Existenz verdanke. Von einem Menschen, der so ambivalent war wie sein Sternzeichen, die Waage. Ich bin traurig, dass er so leiden musste aber auch froh, dass er endlich am Ziel seiner Wünsche ist. Die letzten zweieinhalb Monate waren ein ständiges  Auf und Ab, was Gesundheit und Gefühle anging.

Egal, was zwischen uns so alles gewesen ist: Ich habe ihn bis zum letzten Herzschlag nicht  im Stich gelassen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm verzeihe. Warum soll ich weiter an Dingen festhalten, die ich nicht mehr ändern kann, und die im Angesicht des Todes so bedeutungslos werden? Die letzten zwölf Stunden seiner Existenz (Leben kann man das kaum noch nennen) war unsere kleine Familie zusammen. Wir haben erzählt, Musik gespielt, gestreichelt, geküsst, berührt, gewärmt. Ich weiss nicht, wieviel er davon noch mitbekommen hat, voll mit Morphium und absolut bewegungsunfähig, ohne die Fähigkeit zu sprechen oder nur zu blinzeln.

Es wurde Abend, es wurde Nacht. Der Vollmond schien ins Zimmer, dann brach langsam der neue Tag an. Um 5:50, einen Tag vor seinem 84. Geburtstag hatte es mein Vater geschafft: Er war endlich erlöst. Ich konnte seine letzten Herzschläge noch spüren und sehen, dass er gegangen war.Papa

An seinem Geburtstag zogen bei strahlend schönem Herbstwetter hunderte Kraniche über uns hinweg. Als alter Segelflieger hat ihm das sicher gefallen.

Seine Abschiedsfeier gestaltet sich nach seinen Wünschen: Er bekommt seine Lieblingslieder, hat keine Krawatte um, die er immer gehasst hat und ist mit einer Packung Lieblingszigaretten gut für die letzte Reise versorgt.

Papa, ich hoffe du hast deinen Frieden gefunden, da wo du jetzt bist.

Ich wünsche dir allzeit Thermik und eine handbreit Luft unterm Hintern.

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