sind ein und dasselbe. So sagte es jedenfalls die Dame Mariko im Film Shogun zu „Anjin San“, ihrem Geliebten. Sie wollte ihm damit die japanische Sichtweise erklären.
Leben und Tod… ob sie wirklich ein und dasselbe sind, kann und mag ich nicht beurteilen. Aber sie liegen so verdammt nah beieinander.
Letzte Woche habe ich mich vor einer Beisetzung gedrückt. Eine junge Frau, 25 Jahre alt, war nach hoffnungsloser Prognose wie durch ein Wunder auf dem Weg der Besserung, hatte sich über 7 Wochen ins Leben zurückgekämpft. Plötzlich starb sie ohne Vorwarnung unter ungeklärten Umständen, obwohl alles so positiv aussah. Ich habe mich wirklich vor der Trauerfeier gedrückt. Was sage ich, wenn ich vor den Eltern stehe, die ihr Kind zu Grabe tragen? Was macht das mit mir, wenn ich dort jemandem die letzte Ehre erweise, der mein Tochter sein könnte, und halb so alt war wie ich? Ich wusste es nicht, und ich konnte nicht hinfahren. Ich war nie gern auf Trauerfeiern, gehöre nicht zur sogenannten „Streuselkuchemafia“, die hier auf den Dörfern so oft anzutreffen ist. Trauertourismus ist mir fremd. Ich leide immer mit den Angehörigen und mir kommen immer die Tränen. Egal, wie eng das Verhältnis zu Verstorbenem und Hinterbliebenen ist.
Man kann sich drücken, aber nicht für lange.
Und so musste ich am Dienstag nun doch zu einer Beerdigung. Auch eine, zu der ich so gar nicht hinwollte. Diesmal jemand, der gerade mal ein Jahr älter war als ich. Ein vierfacher Familienvater und mehrfacher Grossvater, der mitten im Leben stand, seine Landwirtschaft mit Begeisterung betrieb und immer weiter ausbaute. Jemand, den ich nie aggessiv oder böse erlebte, jemand der immer ein offenes Ohr hatte. Eine „kurze und schwere Krankheit“ hat ihn besiegt.
Das ganze Dorf muss auf dem Friedhof gewesen sein, und noch viele Menschen mehr. Die Kapelle war voll, der Platz davor und der Weg bis zur Straße. Fast die gesamte Hauptstrasse war beidseitig mit parkenden Autos belegt. Meine beiden Begleiter (wir waren als offizielle Abordnung unseres Motorradclubs da) übergaben unser Blumengesteck an den Bestatter, der es in die Friedhofskapelle trug. Was haben meine Hände beim Eintrag in das Kondolenzbuch gezittert. Genauso gezittert wie beim schreiben der Trauerkarte zu Hause. Ich war froh, als ich mit meinen Brüdern vom MC endlich etwas abseits stehen konnte.
Und dann standen wir da, lauschten der Trauerfeier über die an der Kapelle angebrachten Lautsprecher. Der Pfarrer selbst hatte Mühe die Predigt zu halten. Seine Betroffenheit und Trauer merkte man ihm in jedem Wort an. Es ging darin um Gott, um Trost. Das muss wohl so sein. Meine Blicke irrten in den Himmel, der nach dem morgendlichen Regenguss nun so pünktlich zur Trauerfeier aufgeklart war. In der großen Friedhofseiche hielt ein Turmfalkenpärchen lautstark Hochzeit, eine Elster baute an ihrem Nest. Kopulierende Feuerwanzen krabbelte am Fundament des Friedhofszaunes entlang, im Stall nebenan quiekten Schweine. Und gerade, als der Pfarrer über die Liebe des Verstorbenen zu seiner Familie und zu seinem Beruf als Landwirt sprach, schoss eine ganze Gruppe Schwalben über die Dächer hinweg. Gerade an diesem Tag waren sie aus ihrem Winterquartier zurückgekehrt.
Leben und Vergehen, so eng nebeneinander und doch unwiederbringlich getrennt. Was hätte besser zu Martins Abschied gepasst, zu jemand der als Landwirt das ganze Jahr mit dem Zyklus der Natur lebte? So wie er lebte, so wurde er auch verabschiedet. Seinen Sarg schmückte kein wuchtiges Blumengesteck, nur ein Kranz aus Ähren, Grün und Feldblumen. Und so war auch die Liederauswahl, die gesungen wurde. Ich mochte „morning has broken“ schon immer. Aber in der deutschen Fassung trieb es nicht nur mir die Tränen in die Augen. Ic hwar den Schwalben am Himmel so dankbar, dass ich sie beobachten und mich etwas ablenken konnte.
Das abschliessende Kaffeetrinken haben wir nicht mitgemacht. Es waren genügend Leute da, die die trauernde Familie umschwirrten. wir werden wohl diese Tage mal in Ruhe das Grab besuchen und nochmal „auf Wiedersehn“ sagen.
Ruht in Frieden, Shelly und Martin.