Letztens

hatte ich endlich mal Zeit auf einem Friedhof in einem Schwälmer Dörfchen das Grab einer alten Bekannten zu besuchen. Sabine ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben. Ich habe sie für ihre ruhige und gelassene Art und wie sie mit sich und ihrer Krankheit umging immer bewundert. Auch ihre Trauerfeier war damals so individuell wie sie selbst. Jedes Mal, wenn mich mein Weg durch den Ort führt schaue ich bei ihrem Haus vorbei, das nun ihrem Lebensgefährten gehört. Ich denke an ihre Abschiedsfeier, wo wir für sie mit Trommeln Musik gemacht haben. Ich schaue auf den Apfelbaum in ihrem Garten, der am Trauertag mit Blumen, Bildern und Gegenständen von ihr geschmückt war. Ich denke an das Buch was sie geschrieben hat und welches Dinge enthielt, die man ihr nie angesehen hätte. Und ich denke an ihren Mut und ihre Entschlußkraft, von der Architektin in Hamburg zur Besitzerin eines Buchladens im Schwälmer Land zu werden.

Nun stand ich vor ihrer Grabplatte und dachte „typisch Sabine“. Eine flache Steinplatte, durchbrochen von den Buchstaben ihres Namens und den Worten

LEBEN

WISSEN

STERBEN

KOMMT

Die Buchstaben sind komplett aus der dunkelgrauen, zentimeterdicken Steinplatte gesägt, so daß man durch sie die blanke Erde sehen kann. Durch manche wächst Löwenzahn und zarter Klee. Ich habe lange vor der Platte gestanden und mich mit diesen einfachen vier Worten beschäftigt. Eine Reihenfolge? Erst leben, dann wissen, dann sterben und alles kommt? Oder mit Satzzeichen: Leben, wissen sterben kommt? Wo sie doch wusste, dass sie den Kampf gegen den Krebs nicht gewonnen hatte? Oder leben wissen, sterben kommt? Das Leben zu schätzen wissen, da wir alle eines Tages gehen müssen? Vier Worte und so viel zu denken. Danke Sabine!

Für den Rest des Friedhofes habe ich mir auch noch reichlich Zeit genommen. Die Gemeinde hat dort viele alte Grabsteine stehengelassen und so kann man die Geschichte einiger Familien ab 1860 zurückverfolgen und auch die Veränderungen in der Grabgestaltung und Trauerkultur gut nachvollziehen. Besonders berührt hat mich der verwitterte Grabstein eines Mannes, der mit Namen und der Bezeichnung „Soldat“ mit dem Sterbedatum 1946 beigesetzt war. Im Gegensatz zu den anderen Steinen, die vor dem Sterbedatum ein Kreuz tragen, war dort auf dem Grabstein eine offenstehende Schere eingemeißelt. Eine sehr eingängige Darstellung dafür, daß da der Lebensfaden so einfach abgeschnitten wurde. Eine doch ganz und gar nicht christliche Gedankenwelt. Denkt man doch beim Lebensfaden an die germanischen Nornen oder die römischen Parzen bzw. die griechischen Moiren. Spinnt man das Ganze (welch Wortspiel) jetzt noch weiter, so kommen wir bei drei Frauen auch rasch wieder zur dreifachen Göttin. und so fügt sich alles wieder zusammen.

Dieser Stein hat mich sehr beschäftigt. Zum einen, weil der „Soldat“ wohl 1946 an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben ist (da der Krieg ja da schon vorbei war), und zum anderen weil die Inschrift „Soldat“ und die Schere deutlich machen, daß dieser Mensch sich der Gefahr sicher bewusst war, daß sein Lebensfaden einmal abrupt abgeschnitten werden könnte.  Irgendwie ein ausgesprochen „soldatischer“ Grabstein. Bisher habe ich solch eine Schere noch nie auf einem Stein entdeckt. Ich werde demnächst sicher nochmal hinfahren und die Kamera mitnehmen.

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