Nach dem heutigen Tag brauche ich wohl ein neues Nervenkostüm!

Bis zum Mittag war alles bestens: Regen für den Garten in Sicht, ein leckeres Mittagessen bei Schwiegermama, ein absolut braver Krümelsperling, der dort sitzen bleibt wo man ihn platziert und brav darauf wartet, daß er wieder eingesammelt wird.

Und dann….

schellte es Sturm! Vor der Tür unser Dackdecker, der mir einen riesengroßen Schuhkarton in die Hand drückte, grinsend „Dein Einsatz ist gefragt“ sagte und dann zum Auto zu seinen wartenden Kollegen flitzte. Aus dem Schuhkarton tschilpte es verdächtig. Ich öffnete vorsichtig den Deckel und fand auf etwas Papier in den Resten eines Nestchens hockend 3 halbwüchsige Jungspatzen. Nestlinge, ca. 1  Woche vor dem Ausfliegen. Das Jüngste etwas älter als Krümel, als es zu uns kam. Also erst mal rein in die Küche, das aufgeregte Krümelchen beruhigt und dann das „Trio Infernale“ begutachtet. Und zack, war das Älteste mir aus der Hand entwischt. Es hatte sich energisch zwischen den Fingern rausgebohrt und war flughopsend unter den Schrank und dann in die Ecke zwischen Tür und Wand geflitzt. Zum Glück hab ich das Kerlchen schnell erwischt. Dann erst mal die beliebten pürierten Beoperlen herbei und in die beiden Schnäbelchen gestopft, die sich bereitwillig weit öffneten. Nur der kleine Ausreißer kniff mürrisch Augen und Schnabel zu. „Ich will hier weg, hier ist alles doof, Mamaaaaaaa!!!“

Als ich dann versuchte, ihn mit sanfter Gewalt zur Nahrungsaufnahme zu überreden, entwand er sich wieder mit einer erstaunlichen Energie meiner Hand und sauste unter den Küchenschrank. Mit einem Stock habe ich dann vorsichtig gestochert und ihn wie eine befiederte Minibillardkugel hinter dem Schrank hervorgeschoben. Und was machen Billardkugeln normalerweise? Einlochen! Und genau das tat das verstörte Kerlchen und zwängte sich in den engen Spalt zwischen Fußleiste und Spülensockel. Wir haben keine Einbauküche und so gibt es bei den vielen einzelnen Möbeln eine Menge Verstecke. ARGH! So war an das Kerlchen nicht dranzukommen, also war Spüle abrücken angesagt. Mist – ist das Teil schwer. Mein Mann packte mit an, das vordere Brett am Sockel löste sich und plötzlich fiel das gesamte Möbelstück vollbeladen in sich zusammen. Ich hab vor Schreck und Angst um das Küken erst mal laut losgeschrien. Sah ich es doch schon platt und tot unter dem Bodenbrett.

Ich hab dann (immer noch ein entspanntes Krümelchen auf der Schulter) langsam die Trümmer der Spüle aufgehoben, aber da war kein Küken. Also noch den Herd abgerückt – kein Küken. Die Spülmaschine von der Wand weg – auch kein Küken. Dann habe ich kurz Krümel geparkt  und wollte die ersten Trümmer zur Haustür rausschaffen. Da standen im Flur noch die beiden großen Säcke mit Vogelfutterim Weg, die ich gestern nicht mehr wegstellen konnte. Rasch die Säcke gepackt und Richtung Vogelzimmer geschleift. Und wer sitzt hinter dem letzten Sack, ganz in der Ecke zwischen Wand und Kommode? Der Ausreißer!!! Endlich!!!

Ich hab das Kerchen behutsam gegriffen, es war plötzlich ganz still und zitterte heftig. Und da sah ich dann die Bescherung: Das linke Beinchen war knapp über dem Sprunggelenk um 180 Grad nach hinten verdreht! Ich hab schnell einen Streifen Küchentuch zurechtgemacht, etwas Klebeband gesucht und behutsam das Beinchen wieder in die anatomisch richtige Lage gebracht. Danach wurde das Kerlchen komplett in den Streifen gewickelt, so daß Beinchen und auch Flügelchen ruhiggestellt waren. Nur das Köpfchen und der „Auspuff“ schauten an den beiden Enden heraus. Rasch ein Anruf bei unserem Tierarzt, der für „Piep“ ürigens ein absolutes Händchen hat, und einen Notfall angemeldet. Krümel nochmals geparkt, das bekackte „Spatzenpflegeshirt“ gegen ein „sozialverträgliches“ getauscht, Küki in ein gepolstertes Körbchen und los. Kurz vor dem Ziel brach dann das bereits angekündigte Unwetter mit Platzregen und Hagelschauern los. Meinen Patienten sicher im Arm bin ich in die Praxis gesprintet – toll, da war ich doch barfuß und in Schlappen losgefahren! Der Tierarzt hat das Kerlchen gleich begutachtet. 2 Helferinnen musten herbei, eine zum festhalten, die andere um das Beinchen in der korrekten, gerichteten Stellung zu halten. Ich konnte da teilweise gar nicht hinsehen, so leid tat mir der kleine Patient. Dann bekam der Kleine einen Tapeverband angelegt, wie ein Minigipsbein eben. Inzwischen waren auch seine Lebensgeister wieder erwacht und er wollte (mal wieder) flüchten. Diesmal war ich auf der Hut und das Kerlchen landete gut verpackt im Körbchen.

Der Verband muß jetzt erst mal 2 Wochen dranbleiben. Durchblutet wird das Füßchen, aber der Greifreflex fehlt. Es ist zu vermuten, daß die Sehnen Schaden genommen haben. Ich will mal schauen wie sich das Ganze entwickelt und wie der Kleine damit klar kommt, falls er  das Beinchen nicht mehr vollständig gebrauchen kann. Der Tierarzt ist sehr zuversichtlich daß alles gut heilt. Schließlich wächst das Kerlchen noch und Vogelknochen heilen eh besonders schnell. Leider war das Spätzchen zu klein, um das Beinchen mit einem Marknagel versehen zu können. Bei kräftigeren Beinchen wäre das gegangen. Jetzt ist es aber erst mal wichtig, daß die Schmerzen weggehen und alle drei Küken groß und stark werden.

Auf dem Heimweg fing er plötzlich zu piepsen an. Ich zirpte und pfiff und Küki gab eiftig Antwort. So ein kleiner Kämpfer: wer piepst, der will auch leben, dachte ich und steuerte pfeifend und zirpend das Zuhause an. Dort wurden wir schon von 3 Spatzen sehnlichst erwartet. Krümel wollte aus dem Käfig und kuscheln, die anderen beiden taten lautstark kund, daß die kleinen Kröpfe leer waren. Schnell herbei mit dem Futterbrei, noch etwas Wasser dazu (Feuchtigkeit ist sehr wichtig) und dann wurden die Schnäbelchen der Reihe nach bestückt. Das vor Stunden noch selbständig fressende Krümelchen war plötzlich auch wieder gaaaanz klein und musste mit gefüttert werden.

Der kleine Patient dagegen hatte absolut keine Lust zum fressen. Plötzlich drängelte sich Krümel auf meiner Hand nach vorn, um sich die Kükren genau und aus der Nähe anzusehen. Da Krümel ja im Jugendgefieder wie ein etwas zu helles Weibchen aussieht, war die Wirkung enorm: Alle drei reckten plötzlich schreiend die Hälse und bettelten um Futter. Ich kam mit der Pinzette kaum noch hinterher, so ausgehungert waren die kleinen Freßsäcke. Auch das Gipsbeinküken langte ordentlich zu und war danach sichlich satt und müde. Krümel hat den Kleinen ebenfalls den Schnabel in die Hälschen gesteckt -allerdings nur, um dort verbliebene Futterbröckchen zu stiebitzen. Das Ganze verlief aber absolut sanft und unter viel Gepiepse und Getschilpe.

So habe ich also jetzt 4 Spätzchen. Neulich sagte ich noch zu meinem Mann:“ Ob wir dieses Jahr wieder Spätzchen großziehen dürfen?“ Tja, gemäss der Regel „Überlege worum du bittest, es könnte dir gewährt werden.“ bin ich nun 4fache Vogelmama. Krümel hilft fürsorglich mit und die Kleinen futtern brav (und kacken wie die Weltmeister). Eben gab es die letzte Mahlzeit für heute und auch Krümelchen ist schon im Schlafbereich untergebracht. Ich habe so den leisen Verdacht, daß die Kleinen keine Langschläfer sind und mein neuer Tag früh und lautstark beginnen wird.

Zum guten Schluß für heute werde ich noch den Handgranatenwurfstand, ehemals auch als Küche bekannt wieder begehbar machen. Eine neue/gebrauchte Spüle gibt es erst morgen, und die Trümmer der alten müssen noch weggeschafft werden. Ich schlepp dann mal die zertrümmerte spüle raus, sammel den Inhalt ein und putze durch.

Was aus den Kükis übrigens werden soll? Ich hoffe freche und selbstbewusste Jungspatzen, die ich demnächst gut genährt und voll befiedert in die Freiheit entlassen kann. Bei Krümel ist das allerdings fraglich. Das Vögelchen kuschelt mit Begeisterung und schläft besonders gern in der Hand, wenn es von Schnalbel- bis Schwanzspitze zart gestreichelt wird. Es vibriert dann mit geschlossenen Augen wie ein kleiner Handyakku und gibt besonders helle und kurze „Glückstönchen“ von sich. Ein absoluter Schmusevogel eben!

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