Besonders der gestrige Tag hatte es in sich. Die Trauerfeier für meinen Schwiegerpapa. Tagelang hatten wir die Köpfe voll mit Formularen, Listen mit zu erledigenden Dingen. Haben uns bewusst in Arbeit gestürzt, um nicht denken zu müssen. Zwischendurch war immer Zeit zum Luftholen, und dann kam das Nachdenken und damit auch die Tränen. Wie gern hätten wir die Zeit seit Donnerstag morgen zurückgedreht, wie gern den gestrigen Tag einfach nicht stattfinden lassen. Aber manche Wege muss man gehen, auch wenn sie so verdammt schwer sind.
Der Bestatter war sehr hilfsbereit, so freundlich und verständnisvoll. Danke für die Betreuung, die vielen Tipps und das Abnehmen von Behördengängen aller Art. Wir wurden sanft durch alle notwendigen Abläufe geleitet und hatten jederzeit die Möglichkeit, unsere persönlichen Wünsche und Bedürfnisse einzubringen. Auch dass wir Papa noch einmal sehen konnten hat uns sehr geholfen. Dieser letzte Blick auf ihn, wie er da so ganz friedlich lag und schlief, war gut. Er musste nicht leiden und das war der einzige Trost, als wir so vor seinem offenen Sarg standen. Mama hatte ihm seine „Wohlfühlsachen“ mitgebracht und in seinem hellen, weichen Hemd, der schwarzen Jeans und der roten Strickjacke sah er so aus, als würde er nur sein Mittagsschläfchen halten. Leuchtend rote Nelken im Sarg und in seinen Händen, die genau zu seiner Jacke passten und dazu das sanfte Licht von vielen Kerzen – auch solch eine würdevolle Aufbahrung gibt Trost.
Die Tage dazwischen gingen irgendwie vorbei. Irgendwie, denn man hat das Gefühl, dass man alles etwas verschwommen und gedämpft wahrnimmt. Man hält immer wieder inne und fühlt sich seltsam lebensfremd und körperlos. Das muss wohl so sein wenn man so viele Tränen vergiesst, die Augen so rot und zugeschwollen sind dass man sie kaum noch offenhalten kann. Die Nächte waren nicht viel besser: todmüde, dann zu müde zum schlafen und schließlich total wirre Träume ohne Bezug zu irgendetwas.
Gestern dann die Trauerfeier:
Ein Kranz und das passende Sarggesteck aus gelben Nelken und gelbem Ginster. Diese Blumen waren in Mamas Brautstrauss, als sie vor 49 Jahren geheiratet hat. Da sie die goldene Hochzeit nun nicht mehr zusammen feiern können, hat sie Papa die Hochzeitsblumen als letzten Schmuck mitgegeben.
„Großer Bahnhof“ für Papa, wie das auf einem kleinen Dorf so ist. Es müssen mindestens 150 Leute gewesen sein, eher mehr. Und da er über30 Jahre bei der Stadt war, hat der Bürgermeister nach dem „christlichen“ Teil einen Nachruf auf Papa vorgetragen. Seine letzten Worte waren: „Gerhard ist tot, aber wir werden leben.“ Das hätte Papa gefallen.
Die Feuerwehr stand Ehrenwache vor der kleinen Friedhofskapelle, drin war es viel zu voll und auch zu wenig Platz. Nahezu alle der freiwilligen Feuerwehr Wega waren gekommen. Als alle Kränze abgelegt und alle Nachrufe verlesen waren, blies unser Dorftrompeter „ich hatt‘ einen Kameraden“. Die Töne klangen so klar über den Friedhof und durch die Kapelle, dass die gesamte Trauergemeinde hemmungslos geheult hat. Es gab da keinen, der nicht plötzlich feuchte Augen hatte.
Wir haben uns dann an den Ausgang der Kapelle gestellt und unzählige Hände geschüttelt, Beileidsbekundungen entgegengenommen und teilweise Leute getröstet, die das Ganze sehr heftig berührt hatte. Ich kann mich kaum an alle erinnern, hab nur mechanisch Hände geschüttelt und leise danke gemurmelt. Irgendwann war auch das überstanden (obwohl ich am liebsten in die Knie gegangen und umgekippt oder geflüchtet wäre) und man machte sich auf ins Dorfgemeinschaftshaus zum Beerdigungskaffee. So ist das halt „uff’m Dorfe“. Mein Mann und ich sind noch mal in die Kapelle gegangen und haben uns von Papa verabschiedet. Mein Mann hat seine Hände auf den Sarg gelegt ehe er ging. Viel sagen konnten wir nicht.
Auch das gemeinsame Kaffeetrinken war eine angenehme Sache. Viele „Helferlein“ aus dem Dorf hatten uns die Arbeit abgenommen. Es tat gut, mit den Trauergästen zu reden und uns über Papa, aber auch über so viele alltägliche Kleinigkeiten zu unterhalten. Auch wenn eine Dorfgemeinschaft oft eng und sehr neugierig ist, ist es doch eine Gemeinschaft. und das konnten wir gestern besonders deutlich spüren. Wie schön, dass wir nicht alleine waren!
Leider wurde das gute Gefühl ausgerechnet vom Verhalten der „Frau Pastorin“ getrübt. Zum einen hatte die besagt Dame offensichtlich nicht zugehört, als Mama ihr die Stationen von Papas Leben erzählte. Sie sagte bei der Vorbesprechung stets „ja,ja“ und machte kaum Notizen. Und so brachte sie bei der Predigt nahezu alle Daten durcheinander und verpasste Mama auch noch den Mädchennamen der Oma. Tja, wenn man bedenkt, dass „ja, ja“ als Antwort das Synonym für „l.m.a.A.“ ist……..
Für mich persönlich hielt die Dame noch zwei besondere „Ohrfeigen“ bereit: Bei der Vorbesprechung ignorierte sie mich anfangs komplett. Ich wurde weder begrüßt noch bekam ich das Beileid ausgesprochen. Sie begrüßte die Familie meines Mannes, ging an mir vorbei, sprach mit meinem Mann, setzte sich dann und starrte mich an. Nach der Trauerfeier gab sie mir zwar die Hand und wünschte Beileid, drehte dabei aber demonstrativ den Kopf zur Seite und sah an mir vorbei. Herzlich willkommen im Mittelalter! Ich habe keine Lust, mich über dieses Verhalten weiter aufzuregen. Allerdings finde ich solch ein Benehmen mehr als traurig. Und das alles im Namen dessen der doch sagte „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.
Liebe Frau Pastorin:
Nur weil ich keine Christin bin, bin ich noch lange nicht besser oder schlechter als jeder Andere. Und auch Hexen sind einfach nur Menschen, und sie trauern genauso um jemanden, den sie geliebt haben, wie jeder Andere auch! Anstatt auf das Geschwafel pubertierender Kiddies im Konfirmandenunterricht zu hören (ja, ich weiss, dass ich bei den Blagen Thema Nr.1 bin, weil ich doch angeblich Nachts im Wald Meerschweinchen umbringe und sie austrinke), hätten Sie ja einfach mal mit mir REDEN können. Schade, dass Sie sich Ihren „Chef“, der sich sogar zu Ausgestossenen dazusetzte und mit ihnen sprach, hier nicht als Vorbild genommen haben. Nächsten Mittwoch ist die Urnenbeisetzung. Dann haben sie ja erneut die Gelegenheit, mir in die Augen zu sehen.